hhhjjÄ Home Skoliose Skoliose-OP Skoliose-Galerie OP-Forum Wissenswert Links & Adressen Persönliches
Trotz Mauer im Westen operiert
(Autor: Eleonore V. / Stand: 14. Juni 2007)
Liebe Gäste des 2. Skoliose-Treffens hier im schönen Neustadt in Holstein!
Ich freue mich sehr, dass ich heute auch hier sein darf und danke ganz besonders Stoni für ihr riesiges Engagement für das Zustandekommen dieses Treffens und auch für die Möglichkeit, meine Geschichte hier erzählen zu dürfen.
Vor wenigen Minuten war ich mir noch nicht ganz sicher, ob ich meine Geschichte überhaupt erzählen kann, da sie doch an einigen Stellen sehr emotional gehalten ist und auch Sachverhalte enthält, die man vielleicht doch lieber für sich behalten sollte. Aber ich bin davon überzeugt, dass Skoliose-Betroffene über sehr viel mehr Empathie als die meisten anderen Menschen verfügen und sich demzufolge gut in mich hinein versetzen können. Dies als Vorwort sozusagen, wenn ich mich jetzt hier oute ...
Ich heiße Eleonore V. und komme aus L. in Sachsen, was sicher zu hören ist. Bis vor einiger Zeit wäre es einem DDR-Bürger gar nicht möglich gewesen, so einfach hierher zu reisen. Aber inzwischen haben sich die Zeiten geändert und so musste ich weder eine Mauer noch ein Minenfeld überwinden.
Als ich Stoni angefragt habe, ob wohl meine Geschichte erzählenswert sei und sie mich dann mit in das Programm aufgenommen hatte, musste ich meine Gedanken weit in die Vergangenheit zurück schicken, denn ich gehöre ja - wie man sieht - bereits zu den Oldies.
Elfi erzählt ihre spannende Geschichte und alle hören gespannt zu
Meine Skoliose begann - ohne familiäre Vorbelastung - möglicherweise ausgelöst durch einen schweren Sturz - im siebten Lebensjahr. Damals war ich im ersten Schuljahr, als ein Mitschüler mir von hinten auf meinen Schulranzen sprang und mich zu Boden riss. Daraufhin konnte ich mehrere Wochen nicht gehen, hatte sehr starke Rückenschmerzen und sehr starkes Nasenbluten. Auf die Idee, mich zu röntgen, ist keiner gekommen. Ich lag nur im Bett und wurde liebevoll umsorgt, was in diesem Fall eher kontraproduktiv gewesen ist. Als ich 11 Jahre alt war, entdeckte man meine Skoliose zufällig beim Kinderarzt. Damals war sie minimal bereits äußerlich sichtbar. Ich erinnere mich, dass eine Mitschülerin mein rechtes Schulterblatt berührte und mich fragte, was das denn sei. Damals ist mir nicht bewusst gewesen, was alles auf mich zukommen sollte, und ich sah das alles noch ganz locker. Es folgten - wie vielen von Euch auch noch bekannt - Gipsschalen, in denen ich mich nachts herum gedreht habe, um einigermaßen schlafen zu können, Liegebretter und ein Milwaukee-Korsett. Trotz all dieser Maßnahmen verschlechterte sich meine Skoliose mehr und mehr. Wir waren viele Jahre beim Chefarzt der Orthopädischen Universitätsklinik in L. in Behandlung, und ich konnte einmal hören, wie er zu meiner Mutti sagte, dass er mich, wenn er mich operieren würde, gleich vorher totschlagen könnte wie einen Hund. Diese sehr drastische Äußerung traf aber zu damaliger Zeit in meinem Fall tatsächlich zu. Ich muss noch erwähnen, dass ich mit einem Herzfehler zur Welt gekommen bin und nach Auskunft der Ärzte meine Lebenserwartung lediglich 12 Jahre betragen würde, so dass eine Wirbelsäulen-Operation nicht in Frage gekommen wäre. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang auch an meine liebe Mutti und ihre Tränen, die sie bei jedem Arztbesuch mit mir vergossen hat. Eine ähnliche Geschichte über eine so traurige Mama habe ich im Forum gefunden, die mir sehr zu Herzen gegangen ist.
Später waren wir - immer noch in der Hoffnung auf eine optimale Behandlungsmöglichkeit - an einer anderen Orthopädischen Klinik in L. bei einem Spezialisten in Behandlung, der nach der Wende als "IM Wenzel" enttarnt wurde, als informeller Mitarbeiter der Staatssicherheitsorgane der DDR.
Ich war also in der damaligen DDR am Ende einer effektiven Behandlungs-Option angekommen, erhielt sporadisch Krankengymnastik, Massagen, Unterwassermassage und vor allem viele und nebenwirkungsreiche Schmerzmittel, war mehrere Male auch stationär aufgenommen worden, erhielt Unterricht im Krankenhaus in Bauchlage, und konnte dann endlich in ärztlichen Befundberichten über meine Skoliose lesen: 3. bis 4. Grades bei weiterer Progredienz. Nach Beendigung meiner 10-klassigen polytechnischen Oberschule besuchte ich dann eine kaufmännische Berufsschule mit der Ausbildung zum Handelskaufmann mit Abitur. Das war dann wirklich eine Qual, und ich erinnere mich an unerträglich brennende Schmerzen im gesamten Rücken. Nach Abschluss dieser Ausbildung wurde für mich eine Arbeitsstelle gesucht - leider nicht gefunden! So wurde ich kurzerhand in die Invalidenrente gesteckt. Damit wollte ich mich jedoch nicht abfinden und versuchte auf eigene Faust, meinen Wunsch, Medizin zu studieren, irgendwie zu realisieren. Ich absolvierte zahlreiche Praktika in verschiedenen Kliniken in L. - generell nur in Nachtschichten, die wohl keiner gerne machen wollte - und erlebte viele dankbare Patienten, die sich noch niemals zuvor so gründlich gewaschen fühlten wie durch mich. Eines Abends, als ich mich wieder zum Dienst melden wollte, durfte ich ihn gar nicht wieder antreten. Man hatte heraus gefunden (meine Freundin hatte es unbedacht verraten!), dass ich invalidisiert sei und nicht beschäftigt werden dürfte. Da hatte ich das Gefühl, nun wirklich am Ende angekommen zu sein. Ich war total verzweifelt und habe versucht, meinem Leben ein Ende zu setzen. So wollte ich nicht weiter leben. Dann regte sich mein Gewissen und meine Verantwortung, auch meiner Mutter gegenüber, und ich entschied mich traurig, aber vernünftig, wieder für das Leben.
Einen Vorteil brachte jedoch die Invalidisierung für mich: ich konnte als Invalidenrentner in den Westen reisen. Da wir fast alle Verwandten in Westdeutschland hatten, stellte ich einen Antrag auf besuchsweisen Aufenthalt bei meiner Tante in Stuttgart. Sie suchte mit mir ihren Hausarzt auf, der mich schon von v o r dem Mauerbau 1961 her kannte und mit Entsetzen meine Wirbelsäulenverbiegung registrierte. Er hat uns dann nach Tübingen in die Orthopädische Universitätsklinik geschickt.
Das war der erste Schritt in ein neues Leben. Dort wurde ich Herrn Dr. Z. vorgestellt, dessen strahlende lebhafte blaue Augen und seine unglaublich frische Ausstrahlung ich bis heute in Erinnerung habe.
Heute weiß ich auch woher Letzteres rührte: Nach einem Bericht des British Medical Journal vom 23.12.2006 wurde herausgefunden, ich zitiere: ... "dass die Chirurgen die schönsten Ärzte sind. Sie sind im Durchschnitt sieben Zentimeter größer, hätten volleres Haar und durch die Arbeit im sauerstoffreichen OP eine rosigere Gesichtsfarbe als ihre vom Stethoskop gebeugten Kollegen".
Nie wieder bin ich einer solch großartigen Ärztepersönlichkeit begegnet! Man möge es mir bitte heute verzeihen, dass ich noch immer mit solcher Begeisterung von ihm spreche. Sicher werden auch die heute hier Anwesenden im Rückblick später noch so von "ihrem" Wirbelsäulenchirurgen sprechen, der ihnen ein neues Lebensgefühl vermittelt hat.
Herr Dr. Z. war sofort bereit, mich zu operieren, es fehlte nur das Geld, da ich in Westdeutschland ja nicht krankenversichert war. Was dieser Arzt damals auf die Beine gestellt hat, um mir die OP zu ermöglichen, ist ohne Beispiel! Letztendlich lag ich im sogenannten "Klinikversuchsbett", und das Geld stand zur Verfügung. Ich wurde also auf den Rissertisch gelegt, ordentlich gestreckt und dabei eingegipst. Das war nicht gemütlich. Am Abend war es kaum mehr auszuhalten, in der Nacht darauf gleich gar nicht mehr. Eine Schwester, der ich meine Schmerzen und Nöte schilderte, sah keinen Handlungsbedarf, so dass ich selbst zur Tat schritt und beschloss, meinen Gips zu entfernen. Ich brauchte mehrere Stunden, um den noch feuchten Gips mit einer Hautschere und einer Nagelfeile aufzusägen. Den Rest der Nacht habe ich geschlafen wie ein Murmeltier. Die Schwester im Frühdienst hat nicht schlecht gestaunt, als sie die Gipshülle beim Bettenmachen gefunden hat. Mir ist dann erst die Tragweite meines Handelns bewusst geworden, und ich habe mit einem Klinikverweis gerechnet. Dem war jedoch nicht so. Ich sollte mich bei Herrn Dr. Z. melden. Auf dem Weg dorthin begegnete ich nur grinsenden Gesichtern. Das musste sich wohl inzwischen herum gesprochen haben. Dr. Z. reagierte ausgesprochen humor- und verständnisvoll. Wir haben bei einer gemeinsamen Zigarette (das war eine Lord Extra, das weiß ich noch ganz genau) alles noch einmal durchgesprochen. Dann bekam ich eine ganze Woche zum akklimatisieren, für heutige Verhältnisse unvorstellbar.
Auf meinem Zimmer lag ein junges Mädchen aus Neckartailfingen. Mit ihr hat sich eine wunderbare Beziehung bis zu ihrem frühen Tod entwickelt. Wir waren über viele Jahre unzertrennlich trotz Mauer und Stacheldraht.
Hier möchte ich eine Zäsur machen und nicht nur an sie, die zwei schwere Skoliose-Operationen, eine Hüftoperation sowie Brust- und den sogenannten gefürchteten "schwarzen Hautkrebs" durchlitten und ihm letztendlich erlegen ist, erinnern, sondern auch an die Euch allen so vertraute und so früh aus dem Leben geschiedene Susi erinnern. Als ich diese Zeilen an meinem Computer niederschrieb, sind die Tränen in die Tastatur gelaufen, weil ich nie wieder eine Freundin gefunden habe, mit der ich derart Seelen verwandt war. Sie war so tapfer und trotz aller körperlicher Beschwerden auch so engagiert in ihrem Job als Leitende Schwester in einer Klinik. Ich hoffe, wir finden uns in einer anderen Sphäre wieder.__________________________________________________________
Doch wieder zurück zur Skoliose-OP. Das Procedere wurde nach einer Woche wiederholt und nach vier Wochen konnte ich endlich operiert werden. Diese Operation wurde damals trotz meines Herzfehlers vorgenommen und Dr. Z. erzählte mir später, dass sie in der Presse besprochen worden sei, als ein Novum sozusagen. Die Operation wurde in einer Sitzung vorgenommen, das waren ca. 5 Stunden, und es wurden 14 Wirbelsegmente versteift. Das erste Mal, als ich meine Augen öffnete, sah ich Dr. Z., der nur lakonisch sagte: "Du warst vielleicht ein Schlauch!" In der folgenden Nacht bekam ich Herz-Kreislaufprobleme und der Gips musste teilweise aufgesägt werden. Nachtwache hatte ein Medizinstudent, der sich aufopferungsvoll um mich gekümmert hat. Von all den Schmerzspritzen, die mir zur Verfügung standen, brauchte ich lediglich eine einzige gegen Morgen des folgenden Tages. Ich hatte erträgliche Schmerzen, das einzige, was ich als unerträglich empfand, war der Gips. Ein Segen, dass es heute OP-Techniken gibt, die das überflüssig machen. Mit Joachim, dem Medizinstudenten, habe ich mich dann angefreundet. Er hat mich mit Literatur versorgt, an die ich in der DDR nicht heran gekommen wäre, beispielsweise mit Büchern von Max Frisch. Damals fand in Erfurt ein Treffen zwischen Willy Brand und dem Außenminister der DDR, Willy Stoph statt, worüber er mich in Form von Zeitungslektüre informierte, und wir hofften gemeinsam, dass die "Eiszeit" zwischen den beiden deutschen Staaten bald vorüber sein möge. Das hat dann leider noch 18 lange Jahre gedauert. Aus Joachim ist ein bekannter Arzt geworden, dem ich jedoch damals nicht in den Westen folgen wollte ...
Ich muss heute rückblickend sagen, dass diese Zeit zu einer der schönsten meines bisherigen Lebens gehört. So viel Sympathie und so viel Wärme sind mir kaum je wieder begegnet. Das ist sicher auch der damaligen politischen Situation geschuldet, als es fast eine Sensation war, dass ein so junges Mädchen, wie ich es damals war, in den Westen reisen konnte.
Nach einigen Wochen konnte ich zu meiner Tante nach Stuttgart entlassen werden. Doch da wurde ich mit den eisenharten Realitäten konfrontiert. Inzwischen war ja meine Erlaubnis für den besuchsweisen Aufenthalt in Stuttgart abgelaufen. Meine arme Mutter informierte mich, dass sie einer Vorladung auf das Volkspolizeikreisamt folgen und sich einem sehr unangenehmen Verhör unterziehen musste. Man teilte ihr mit, dass ich nach Überschreitung meiner genehmigten Reisezeit nun Republik flüchtig geworden sei. Das war eine Katastrophe! Nun wurde wieder Herr Dr. Z. tätig und schrieb mir ein ärztliches Attest, dass ich erst nach Abschluss meiner Behandlung wieder in die DDR zurück kehren könnte und weder reise- noch transportfähig sei. Dieses Spielchen wiederholte sich einige Male, da ich ja nach der Operation noch ganze 12 Monate eingegipst war. Auch an dieser Stelle ist mir wieder bewusst geworden, was Herr Dr. Z. alles unternommen hat, um mir einen erfolgreichen Abschluss meiner Behandlung zu ermöglichen.
Einige Wochen nach meiner Entlassung erhielt ich dann eine Einladung der Eltern meiner lieben Freundin aus Neckartailfingen. Ich durfte dort mehrere Monate verbringen, am Fuße der Schwäbischen Alb, ein Traum für einen jeden DDR-Bürger. Diese Familie hat mich aufgenommen wie ihr eigenes Kind und seitdem sind mir die Schwaben unzertrennlich ans Herz gewachsen. Dort hatten wir gemeinsam eine ganz tolle Zeit, so dass wir oft den beschwerlichen Gips ganz einfach vergessen haben.
Bei der nächsten Gipskontrolle in der Tübinger Universitätsklinik, wo auch ein Termin für den nächsten fälligen Gipswechsel festgelegt wurde (das war aller 4 Monate der Fall), erfuhren wir dann, dass Herr Dr. Z. inzwischen eine Oberarztstelle in Mannheim angenommen hatte.
Mein erster Gipswechsel war dann das reinste Fiasko. Ich habe dabei unter dem Nachfolger von Herrn Dr. Z. (den Namen möchte ich hier lieber nicht nennen) erheblich an Korrektur verloren. In meiner Verzweiflung habe ich mich - wie später noch so oft - an Dr. Z. gewandt, der mich sofort nach Mannheim beordert hat. Er hat dann auch gleich einen Rissertisch besorgt, den es dort noch nicht gegeben hat, um meine verloren gegangene Korrektur wieder herzustellen. Dies ist ihm auch gelungen, jedoch hat er mir beim Gipsverputzen einen Schmiss ins Gesicht verpasst, ein Autogramm sozusagen, was mich an jedem Tag beim Blick in den Spiegel an ihn erinnert, zwangsläufig sozusagen.
In Mannheim lernte ich Doris kennen aus Mainz, mit der ich heute noch befreundet bin. Leider steht ihr nach zwei Skoliose-Operationen in Heidelberg und einer Pseudarthrose-Reparatur durch Dr. Z. in Mannheim heute eine weitere Operation bevor, die sie demnächst in Karlsbad-Langensteinbach vornehmen lassen will. Ich habe ihr letztens dringend geraten, noch eine zweite Meinung bei einem Skoliose-Spezialisten einzuholen. Ich hoffe sehr, dass sie das beherzigt.
Im Klinikum Mannheim bin ich wieder sehr lieben Menschen begegnet und habe mich sehr wohl gefühlt. Da ich ja mobil war, habe ich die Schwestern bei ihrer Arbeit unterstützt und Herr Dr. Z. meinte: "Die können wir gar nicht entlassen, wenn die sich hier so nützlich macht!"
Als ich dann die letzte Phase im Gips erreicht hatte und er in der Klinik in Mannheim abgenommen werden sollte, erfuhr ich, dass sich wahrscheinlich eine Pseudarthrose entwickelt hätte, und ich noch ein Mieder tragen müsste. So jedenfalls drückte sich Herr Dr. Z. aus. Das Mieder entpuppte sich dann als ein Stagnara-Korsett, das ich noch nach den 13 Monaten Gips tragen sollte. Übrigens: In diesem Korsett bin ich dann später zum ersten Mal schwanger geworden.
Allmählich näherte sich aber das Ende meiner Behandlungszeit in Westdeutschland, und ich musste eine Entscheidung treffen, ob ich denn nun in Westdeutschland bleiben wollte oder wieder hinter den "Eisernen Vorhang" zurück kehren sollte. In den Monaten, die mir noch blieben, habe ich bereits gearbeitet. Ein Steuerberater hatte mich als Azubi aufgenommen. Auch von Herrn Dr. Z. hatte ich das Angebot, für ihn als Sekretärin tätig zu sein. Er hatte später zusammen mit Herrn Dr. L. eine Orthopädische Gemeinschaftspraxis in Tübingen in der Uhlandstraße eröffnet und die Leitung einer Deutsch-Französischen Abteilung für Skoliosenbehandlung am Französischen Krankenhaus "Emile Roux", ebenfalls in Tübingen, Auf dem Sand, übernommen.
Am 9. Mai 1971 habe ich dann einen folgenschweren Entschluss gefasst. Als meine Mutti mich in Stuttgart anrief, um mir zum Geburtstag zu gratulieren und sie mir unter Tränen von den Schikanen von Seiten der DDR-Behörden berichtete, entschloss ich mich, in die DDR zurück zu kehren. Ich habe mich dazu während unseres 20-minütigen Telefonates entschlossen. Wie schwer mir das gefallen ist, kann keiner ermessen. Alle meine Freunde und Verwandten in Westdeutschland waren total entsetzt und befürchteten - genau wie ich - dass ich nie wieder in den Westen reisen dürfte. Aber auf der anderen Seite sah ich meine Mutter, die so viel für mich getan und um mich gelitten hatte, so dass ich mir sagen musste, dass ich so auch im Westen niemals hätte glücklich werden können. Eines wollte ich jedoch noch vor meiner Rückreise in die DDR klären, und zwar, ob ich ein Studium der Medizin aufnehmen könnte. Das wurde mir von offizieller Stelle zugesichert. Dieses Schriftstück habe ich bis zum heutigen Tage aufbewahrt. Herrn Dr. Z. habe ich damals über meinen Schritt zurück informiert, und er hat mir einen Bericht für die weiterbehandelnden Ärzte in L. mitgegeben.
Vor meinem Grenzübertritt in die DDR hat mich dann in Hof noch ein Angehöriger des Bayrischen Zoll gewarnt und wollte mir mitsamt meinem Gepäck aus dem Zug helfen. Die 15 Minuten Bahnfahrt von Hof nach Gutenfürst, dem damaligen Grenzkontrollpunkt der DDR, werde ich niemals vergessen. Mit einem Mal hatte mich Panik ergriffen, und ich wäre am liebsten noch aus dem Zug gesprungen.
Die DDR-Grenzbeamten haben mich dann trotz Kontrolle meines Gepäcks, in dem sich jede Menge Brief- und Musikkassetten sowie Zeitschriften befanden, weiter fahren lassen, obwohl all das strengstens verboten war, in die DDR einzuführen. Ich war wie betäubt, hätte ja schlimmstenfalls mit Inhaftierung oder Einweisung in ein Lager rechnen müssen.
Meine Mutter hat zwar im Vorfeld sehr für mich gekämpft, damit mir das erspart bleiben möge, aber Sicherheiten hatten wir nicht.
So war ich also wieder im Osten angekommen, und die Ernüchterung folgte auf den Fuß. Meine beruflichen Pläne sind allesamt ins Wasser gefallen. Von den Versprechungen, die man mir gemacht hatte, war keine Rede mehr, im Gegenteil, ich sollte mich rehabilitieren, um ein nützliches Mitglied der sozialistischen Gesellschaft zu werden.
Die folgenden 31 Jahre hatte ich meine Skoliose vergessen, obwohl ich oft an die Grenzen meiner physischen Belastbarkeit gegangen bin, sei es aufgrund von Schwangerschaft, jahrelanger Pflegetätigkeit, die ich an meiner Mutter verrichtet habe oder Sanierungsarbeiten in unsanierten Altbauwohnungen, um sie bewohnbar zu machen. Der absolute Einbruch, sozusagen im wahrsten Sinne des Wortes, vollzog sich 2001 während meiner Herz-Operation. Sofort nach dem Aufwachen aus der Narkose habe ich bemerkt, dass meine versteifte WS das Thorax-Aufspreizen übel genommen hatte. So entsetzliche Rückenschmerzen hatte ich noch niemals in meinem Leben und die wegen der Herz-Reparatur nötige Brustkorberöffnung habe ich überhaupt nicht wahrgenommen.
Ich möchte hier an dieser Stelle alle Skoliose-Operierten dringend auffordern, sich vor einer evtl. nötigen Operation, die mit einem Eröffnen des Brustraumes verbunden ist - was Gott behüte, niemals eintreten möge - einem Skoliose-Spezialisten vorzustellen und dessen Rat einzuholen. Mir hat man es bis vor wenigen Monaten nicht glauben wollen, dass meine versteifte Skoliose unter der Herz-OP schwer geschädigt wurde. Erst Ende letzten Jahres hat ein Arzt in Westdeutschland, den ich dann endlich in meiner Not konsultiert habe, ein MRT anfertigen lassen, wodurch der entstandene Schaden eindeutig belegt wurde. In der Ärztezeitung vom November 2006 wird diskutiert, dass Kinder, die eine Herz-OP hatten, später überdurchschnittlich oft eine thorakale Skoliose entwickeln. Bei mir hat sich nach der Herz-OP die bereits vorhandene Skoliose extrem verschlechtert, so dass zwar jetzt mein kleiner Shunt in der Kammerscheidewand verschlossen ist, sich jedoch inzwischen eine Rechtsherzüberlastung und ein COPD mit Lungenhochdruck entwickelt haben.
Leider wird mich jetzt niemand mehr operieren, obwohl ich eine erneute WS-OP mit wahrer Leidenschaft angehen würde. Ich bin risikoselektiert, nicht, weil das Risiko für mich zu hoch ist, sondern weil in meinem Fall die Kosten für eine Standard-OP mit Sicherheit überschritten würden. Ärzte haben strenge Auflagen und die Kosten dürfen bestimmte Limits nicht überschreiten, damit die Kliniken "schwarze Zahlen" schreiben. All das kann ich verstehen, aber es tröstet und es hilft mir nicht. Diese Aussage ist keiner Verbitterung geschuldet, sondern ist nachzulesen in "Forschung & Lehre", Heft 4/2007, S. 204 - 206.
Die Bitte an Euch, auf Euern Rücken zu achten, möchte ich an den Schluss meines Beitrages stellen. Ich danke Euch von ganzem Herzen für Eure Aufmerksamkeit und wünsche Euch ein möglichst schmerzfreies, erfülltes und glückliches Leben.
"Lebt Euern Traum und träumt Euer Leben nicht nur!"
Ich umarme Euch !!!Eleonore V.
Anmerkung: Hiermit erkläre ich, dass der vorstehende Bericht lediglich eine ganz persönliche Schilderung meiner Skoliose-Behandlung darstellt. Es ist nicht beabsichtigt, einer der erwähnten Personen zu nahe treten zu wollen.
Habt ihr auch eine spannende oder außergewöhnliche Skoliose-Geschichte? Wenn du deine Geschichte hier veröffentlichen möchtest, dann melde dich bei mir...